HGM Wissensblog

Das Auto von Sarajevo – Ein Leitobjekt des Museums

Vor dem Eingang zur Saalgruppe „1. Weltkrieg“ ist jenes Automobil ausgestellt, in dem der österreichisch-ungarische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este (geb. 1863) und seine Gemahlin Herzogin Sophie von Hohenberg (geb. Gräfin Chotek von Chotkowa und Wogninin 1868) am 28. Juni 1914 in Sarajevo ermordet wurden.

Plakette des k.k. Österreichischen Freiwilligen Automobilkorps am Doppelphaeton ©HGM/Atelier Hans Schubert, Wien

Der Wagen (Doppelphaeton der Wiener Firma Gräf & Stift, Baujahr 1910, ca. 32. PS) gehörte Franz Graf Harrach (1870-1937), selbst Angehöriger des k.k. Österreichischen Freiwilligen Automobilkorps und Adjutant des Erzherzogs. Der Graf hatte dem Thronfolger sein Automobil für die in Bosnien-Herzegowina im Juni 1914 stattfindenden Manöver zur Verfügung gestellt, an denen dieser als Generalsinspektor der gesamten österreichisch-ungarischen Streitkräfte teilnehmen sollte. An den Kaiser schrieb er darüber: „Der Zustand der Truppen sowie ihre Leistungen waren ganz vorzüglich über alles Lob erhaben. (…) Beinahe keine Maroden, alles frisch und munter. Morgen besuche ich Sarajevo und reise abends ab. In tiefster Ergebenheit mich zu Füßen legend Eurer Majestät untertänigster Franz.“1

Nach dem Manöver nahm das Thronfolgerpaar am Morgen des 28. Juni 1914 an einer Messe in Ilidža (rund 10km von Sarajevo entfernt) teil, um daruafhin um 10:07 Uhr mit dem Hofsonderzug im „Defensionslager“ von Sarajevo einzutreffen. Kurz darauf bestiegen sie mit einer Delegation den sechssitzigen Graef & Stift, da ein Besuch im Rathaus auf der Tagesordnung stand.

Die Abfahrt zum Rathaus © HGM/MHI

Franz Graf Harrach saß in der Mitte des Wagens neben FZM Oskar Potiorek, dem Landeschef von Bosnien und der Herzegowina. Neben dem Chauffeur Leopold Loika saß Gustav Schneiberg, der Hofkammerbüchsenspanner. Auf der Rückbank saßen links der Thronfolger Franz Ferdinand und rechts seine Gemahlin Sophie. Der Graef & Stift des Thronfolgers sollte als dritter Wagen eines Konvois fahren. Im ersten fuhr die Polizeibedeckung, im zweiten der Bürgermeister Sarajevos mit dem Regierungskommissär und im vierten bis sechsten Wagen fuhr die Suite des Thronfolgers.

Es gab bereits zu diesem Zeitpunkt zahlreiche Warnungen vor möglichen Attentatsplanungen. Erzherzog Franz Ferdinand soll jedoch darauf äußerst unbeeindruckt reagiert haben:

Aber unter einen Glassturz lasse ich mich nicht stellen. In Lebensgefahr sind wir immer. Man muss nur auf Gott vertrauen.“2

Autor: Franz Ferdinand 28. Juni 1914

Da es das Wetter zuließ wurde sogar entschieden, mit offenem Verdeck zu fahren.

Auf dem Weg zum Rathaus ereignete sich der erste Attentatsversuch in der Nähe der Oesterreichisch-Ungarischen Bank am Appelquai. Einer der entlang der Route stehenden Attentäter, Nedeljko Cabrinovic (1895-1916), warf dabei eine Handgranate gegen das Fahrzeug des Thronfolgers, der diese jedoch selbst abwehren konnte. Auf der Rückseite des Wagens können die Schäden der Explosion noch immer gesehen werden.

Beschädigungen an der Rückseite des Wagens nach dem ersten gescheiterten Attentatsversuch © HGM/MHI
Zeitzünderhandgranate, wie sie von den Attentätern mitgeführt wurden © HGM/MHI

 

Bei der anschließenden Explosion wurde auch das nachfolgende Fahrzeug beschädigt, sowie mehrere Personen verletzt, u.a. Oberstleutnant Erik Edler von Merizzi (1873-1917), der Flügeladjutant von Feldzeugmeister Oskar Potiorek. Der Attentäter versuchte zu fliehen und sich zu vergiften, was beides scheiterte.

Die Fahrt zum Rathaus sollte jedoch fortgesetzt werden. Nach einem aufgrund der Umstände stark verkürzten Besuch des Rathauses, bei dem auch der Bürgermeister den wachsenden Unmut des Thronsfolgers zu spüren bekam, wurde letztlich entschieden, den verletzten Oberstleutnant Merizzi im Krankenhaus zu besuchen. Die Fahrtroute wurde dabei kurzfristig abgeändert, wobei es zu einem verhängnisvollen Missverständnis kam.

Auf der Höhe der Lateinerbrücke bog das erste Fahrzeug des Konvois in die Franz-Josef Straße ein, anstatt dem Appelquai geradeaus zum Krankenhaus zu folgen. Auch der nachkommende Wagen des Thronfolgers bog nach rechts ab, bevor die Kolonne zum Anhalten gebracht werden konnte, um die vorgesehene Route wieder aufzunehmen.

Sekunden vor dem Attentat am sogenannten "Schillereck" - Der Wagen des Thronfolgers biegt fälschlicherweise in die Franz-Josef Straße ein. Am Trittbrett neben Franz Ferdinand steht als Schutzmaßnahme Graf Harrach © HGM/MHI

Die Fahrzeuge mussten nun zurückschieben, ein damals äußerst schwieriges Unterfangen für die Lenker, welches entsprechend viel Zeit in Anspruch nahm, da zum Einlegen des Rückwärtsganges, das Fahrzeug zunächst kurzfristig zum Stillstand gebracht werden musste.

©HGM/Atelier Hans Schubert, Wien
M. Christian Ortner, Die k.u.k. Armee und ihr letzter Krieg, Wien 2013, S. 30 (Skizze: Der Ablauf des Attentats)

Diesen Moment nutzte ein weiterer Attentäter, Gavrilo Princip (1894-1918), der zu diesem Zeitpunkt genau an jener Straßenecke stand und mit seiner Pistole die tödlichen Schüsse auf das Thronfolgerpaar abgeben sollte. Der erste Schuss des Attentäters galt eigentlich dem Landeschef von Bosnien und Herzegowina, Feldzeugmeister Oskar Potiorek (1853-1933), den er jedoch verfehlte. Die Kugel durchschlug das Seitenverdeck des Wagens und traf an seiner Stelle die Herzogin in den Unterleib. Erst der zweite Schuss traf den Thronfolger am Hals.

Wäre der anbefohlene Kurs (gerade aus) gefahren worden, hätte Princip eine Schussweite von 9 Metern gehabt. Wäre der Wagen vorschriftsmäßig eingebogen, so wären es 6 Meter gewesen. Tatsächlich waren es 2-3 Meter Abstand zwischen Princip und dem Wagen.

Einschuss im Seitenverdeck, durch welchen Herzogin Sophie tötlich verwundet wurde. © HGM/MHI

Nach rascher Fahrt zur Residenz Potioreks, dem sogenannten Konak von Sarajevo, konnte letztlich nur noch der Tod des kaiserlichen Paares festgestellt werden. Ihre Leichname wurden aufgebahrt, nach Triest und Wien überführt und schließlich nach Schloss Artstetten gebracht, wo ihre Beisetzung in engstem Familienkreis stattfand.

Für Österreich-Ungarn trug an der Ermordung des Thronfolgers allein Serbien die politische Schuld und so richtete man ein entsprechendes Ultimatum an die serbische Regierung, dessen Forderungen letzten Endes in ihrer Gesamtheit nicht erfüllt werden konnten. Aus einem zunächst scheinbar begrenzten Konflikt entwickelte sich binnen weniger Wochen ein Bündniskrieg, in dem die Mittelmächte Österreich-Ungarn, das Deutsche Reich und das Osmanische Reich (ab Oktober 1914), den Staaten der Entente, dem Russischen Reich, Frankreich und Großbritannien, sowie Serbien gegenüberstanden. Weitere Staaten sollten sich in den nachfolgenden Jahren an dem Krieg beteiligen, so dass letzten Endes ein Weltenbrand entstand, der nicht weniger als 36 Staaten erfasste.

Überlassung des Doppelphaetons an das Heeresmuseum, Sarajevo am 19. Juli 1914 © HGM/MHI (Abschrift)

Das Fahrzeug sollte nach den Untersuchungen zum Attentat an seinen Besitzer, Graf Franz Harrach, zurückgestellt werden. Dieser war jedoch an der Rücknahme wenig interessiert, die Ereignisse dürften ihn wohl dazu veranlasst haben, Abstand von einer weiteren Verwendung des Autos zu nehmen. Er schenkte es Kaiser Franz Joseph. Im Bewusstsein der besonderen Verbindung des Fahrzeuges mit dem Schicksal des Thronfolgers, übergab es der Kaiser kurzer Hand dem damaligen Heeresmuseum im Wiener Arsenal. Im August 1914 dürfte der Wagen sodann im Arsenal angekommen und kurz darauf in die Sammlung des Museums aufgenommen worden sein.

1 Karlheinz Schönauer, 1914 – Protokoll eines gewollten Krieges, Berlin 2012, S. 171

2 Carl Freiherr von Bardolff, Soldat im alten Österreich. Erinnerungen aus meinem Leben, Jena 1938, S. 132.

Thomas Edelmann

Mag. Dr. Thomas Edelmann, MAS
Ich bin Historiker mit einer postgradualen museologischen Ausbildung, die ich an der Universität für angewandte Kunst Wien absolviert habe. Im Museum bin u.a. für die digitale Kommunikation zuständig, angefangen von der Website über den Blog bis hin zu allen Social-Media-Kanälen. Andererseits bin ich als Forscher im Militärhistorischen Institut tätig, wo ich gegenwärtig am Forschungsprojekt „Vom Leib zum Körper. (Be-)Musterung von Militärpflichtigen und ihre Konstituierung zum Soldaten 1858 - 1918“ arbeite. Meine Forschungsinteressen sind die Geschichte der Habsburgermonarchie 1789 - 1918, der Erste Weltkrieg mit dem Schwerpunkt auf das Etappenwesen der österreichisch-ungarischen Armee sowie – um über die Grenzen Europas zu blicken – die mexikanische (Kultur-) Geschichte.

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