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Von den Feldbüchereien

Für den Sammlungsbestand des Heeresgeschichtlichen Museums konnte mit einer fast vollständig erhaltenen Feldbücherei ein interessantes und in diesem Erhaltungszustand wohl als äußerst selten zu bezeichnendes Objekt erworben werden. Es handelt sich um die Feldbücherei aus dem Bereich des Luftnachrichten Regiments Nr. 24 der Wehrmacht NS-Deutschlands. Das Objekt besteht im Wesentlichen aus einem Holzkorpus mit aufklappbarem Deckel, der ein Ausleihbuch, Entlehnscheine (aufgebraucht) und eine Anleitung zur Verwendung der Feldbücherei birgt. Der Buchbestand umfasste ursprünglich wohl 49 Werke, wobei in der vorliegenden Feldbücherei nur noch 47 vorhanden sind.

Frontansicht der Feldbücherei, HGM

Die Versorgung von Fronttruppen mit Literatur in größerem Ausmaß fand erstmalig im amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) statt und später im Deutschen Heer während des Deutsch-Französischen Krieges (1870-71). Im ehemaligen k. u. k. Heer Österreich-Ungarns begann eine solche Versorgung im Ersten Weltkrieg (1914-1918). Zu Kriegsbeginn waren es Unternehmen und private Initiativen wie Vereine, Universitäten, kirchliche Institutionen und Privatpersonen gewesen, die ihren an der Front dienenden Kollegen, Komillitonen oder Angehörigen Druckwerke mit der Feldpost sandten. Mit der Fortdauer des Krieges organisierten schließlich die militärischen Behörden Aktionen, um Druckwerke zu sammeln, an die Front zu transportieren und dort zu verteilen. Eine der ersten größten derartigen Sammelaktionen war die 1915 durch das k. u. k. Kriegsfürsorgeamt eingerichtete Aktion „Bücher ins Feld“.

Oesterreichische Buchhändler-Correspondenz, 15.12.1915, Österreichische Nationalbibliothek / Austrian Newspaper Online

In den Frontbereichen selbst richtete man Feldbuchhandlungen und Feldbüchereien ein, bei ersteren konnten Soldaten Druckschriften kaufen, bei letzteren entlehnen

Feldbücherei an der Isonzofront / Raum Dutovlje (Slowenien), HGM
Bau eines Kinotheaters mit Lesehalle und Bücherei an der Isonzofront / Planina Dublja, Raum Krn Gebirge (Slowenien), HGM

Gerne wurde (neben anderen Formen der Truppenbetreuung) von den Soldaten dieses Literaturangebot zur Ablenkung vom Kriegsalltag angenommen, war doch der Krieg für sie häufig geprägt durch Extreme, die von Entbehrung, psychischer Belastung bis hin zu quälender Langeweile reichten.

Im Zweiten Weltkrieg wurden wiederrum Feldbüchereien eingerichtet und bei den Truppenteilen selbst durch sogenannten „Bücherwarte“ verwaltet, das waren eingeteilte Soldaten, die die Bibliotheken betreuten. Das NS-Regime maß der weltanschaulichen Bildung der Soldaten besondere Bedeutung bei und so wurden etwa vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda Literatur-Empfehlungslisten für Soldaten ausgearbeitet. Das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) wählte u.a. darauf basierend geeignete Literatur für den Frontgebrauch aus, regelte die Bestückung der Feldbüchereien und gab auch mit den Reihen „Tornisterschriften“ und „Soldatenbüchereien“ eigene Buchreihen heraus.

Titelblätter von Ausgaben der Tornisterschriften, HGM
Titelblätter von Ausgaben der Tornisterschriften, HGM

An die Fronten gelangte ein Literaturangebot, das von weltanschaulichen Druckschriften im Sinne der NS-Ideologie, über (Kriegs-)Propaganda bis hin zu im Sinne der Machthaber als „deutsch“ und daher zulässig eingestuften Werken reichte und über diverse Stellen verteilt, über die Frontbuchhandlungen verkauft, oder auch über die Feldbüchereien den Soldaten zur Verfügung gestellt wurde.

Front- und Seitenansicht der Feldbücherei, HGM
Front- und Seitenansicht der Feldbücherei, HGM
Auf Frontdeckel aufkaschiertes Blatt: „Anleitung für die Verwendung und Benutzung einer Luftgau-Feldbücherei“, HGM
Ausleihbuch, HGM
Erste Seite des Ausleihbuchs: „Anweisung für den Bücherwart“, HGM
Letzter Eintrag des Ausleihbuches: „Am 19.10.44 an Flakuntergruppe Mödling [Name unleserlich] Ogefr [Obergefreiter]“, HGM
Buch aus dem Bestand der Feldbücherei die das gewünschte Literaturprogramm des NS-Regimes für seine Soldaten illustrieren, HGM
Buch aus dem Bestand der Feldbücherei die das gewünschte Literaturprogramm des NS-Regimes für seine Soldaten illustrieren, HGM

Von solchen mobilen Feldbüchereien sind in diesem Erhaltungszustand wohl nur noch wenige Stücke erhalten geblieben. Das Heeresgeschichtliche Museum konnte mit dem Erwerb eines Exemplars seinen Sammlungsbestand um ein Objekt erweitern, das eine beachtenswerte Facette der Alltagsgeschichte von Soldaten der NS-Wehrmacht zeigt.

 

Auswahl weiterführender Quellen und Literatur

Hans-Eugen Bühler, Der Frontbuchhandel 1939 – 1945, Organisationen, Kompetenzen, Verlage, Bücher, Frankfurt/Main 2002

Deutsche Nationalbibliothek / Blog. Carola Staniek, Einzigartige Bildquellen des Feldbuchhandels, https://blog.dnb.de/feldbuchhandel/ (06.10.2022)

Wiebke Hauschildt, Mobile Bibliotheken, von der Feldbücherei zum Bücherbus

Deutsche Digitale Bibliothek (deutsche-digitale-bibliothek.de) (06.10.2022)

Österreichische Nationalbibliothek, ANNO Historische Zeitungen und Zeitschriften, https://anno.onb.ac.at (06.10.2022)

Christine Scholz, Literaturpolitik im Nationalsozialismus, der Versuch durch Gleichschaltungspolitik den Buchmarkt zu kontrollieren und Lesegewohnheiten zu lenken (Dipl.-Arb), Linz 2018

Thorsten Unger, Bücher für die Front, Feldpostreihen des Zweiten Weltkrieges, Hannover 2019

Walpurga Weissensteiner, „Bücher ins Feld“, Aktionen in Österreich-Ungarn zur Versorgung der Soldaten im Ersten Weltkrieg mit Lektüre, mit einem methodisch-didaktischen Vorschlag für den Unterricht, Innsbruck 2011

Erik Gornik

OR Erik Gornik, MA, M.A.LIS
Historiker, Politikwissenschaftler und Bibliothekswissenschaftler. Ich bin Leiter der Museumsbibliothek und verantwortlich für Aufbau, Erschließung, Gestaltung, Vermittlung und langfristigen Erhalt des Bibliotheksbestandes.
Meine Forschungsinteressen enge ich nicht im Vorhinein ein, sondern gehe mit offener Neugier an (militär-)historische Fragestellungen heran. Dabei interessiert mich vor allem der Zeitraum der Neueren Geschichte bis hin zur Zeitgeschichte mit europäischem Schwerpunkt.

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