HGM Wissensblog

Objekt des Monats April 2023

Aquarell auf Papier in floral dekoriertem Beinrahmen, 14,3 x 33,7 cm; bezeichnet: „n. Isabey“, unsigniert, undatiert (um 1830); Ankauf aus Auktion.

(HGM/MHI)

Unter geschichtsinteressierten Menschen ist diese Darstellung der Delegierten der verschiedenen Staaten zum Wiener Kongress 1815, dem wohl berühmtesten Ereignis der europäischen Diplomatie des 19. Jahrhunderts, durchaus bekannt. Dennoch bringt eine tiefergreifende Recherche einige Überraschungen zutage. So ist sowohl in der Literatur als auch im Internet stets von einer Art Gruppenporträt aller Delegierten die Rede, und als Bildunterschrift der zahllosen Drucke, welche das Bild reproduzierten, findet sich immer wieder der Satz: „nach dem berühmten Gemälde von Jean-Baptiste Isabey“. Beides ist falsch: Das „berühmte Gemälde“ existiert überhaupt nicht, und die 23 Delegierten waren auch zu keinem Zeitpunkt alle im selben Raum.

Der in Nancy geborene Jean-Baptiste Isabey stammte aus bescheidenen Verhältnissen, sein Vater war Lebensmittelhändler. Zunächst lernte er in seiner Heimatstadt beim Historienmaler Jean Girandet (1709 – 1778) und dem Landschaftsmaler Jean-Baptiste Claudot (1733 – 1805). 1785 ging Isabey nach Paris, wo er zunächst Truhendeckel und Ähnliches bemalte, bekam aber bald Kontakte zum königlichen Hof und lernte bei Francois Dumont (1751 – 1831), einem der Hofkünstler von Königin Marie-Antoinette (1755 – 1793). Dieser stellte ihn, als Mädchen gekleidet und geschminkt, bei einem Maskenball der Königin vor, welche ihm zu einer festen Anstellung bei Hof verhalf. In seiner neuen Funktion spezialisierte sich Isabey auf Porträtminiaturen, was angesichts der Tatsache, dass die Miniaturmalerei zu dieser Zeit in Frankreich eine Hochblüte erlebte, nicht verwundert.

Horace Vernet (1789 – 1868): Porträt Jean-Baptiste Isabey, 1828 (Wikipedia Commons)

Ab 1788 wurde Isabey an der Pariser Académie royale de peinture et de sculpture (Königliche Akademie für Malerei und Bildhauerei) einer der Schüler des berühmten Jaques-Louis David (1748 – 1825). In weiterer Folge machte er sich als Miniaturmaler und Zeichner selbstständig und wurde dank seiner Kontakte vom französischen Hof reichlich mit Aufträgen versorgt. Dies hinderte ihn jedoch nicht daran, sich 1789 nach dem Ausbruch der Französischen Revolution 1789 gegen die königliche Familie zu stellen und die Nähe zu den Jakobinern zu suchen. Seinen Ruf als hervorragender Porträtmaler konnte er festigen, indem er insgesamt 228 Porträtminiaturen der Mitglieder der ersten Nationalversammlung anfertigte.

Spätestens ab Beginn der Terrorherrschaft der Jakobiner 1793 zog sich Isabey ins familiäre Privatleben zurück; erst 1796 übernahm er als Zeichenlehrer eines Mädchenpensionats wieder ein öffentliches Amt. Dabei unterrichtete er u. a. Hortense de Beauharnais (1783 – 1837), die Stieftochter Napoleon Bonapartes (1769 – 1821), der ihn nach seiner Krönung 1804, bei der Isabey für die dekorative Gestaltung der Kathedrale Notre Dame verantwortlich war, zu einem seiner Hofmaler ernannte.  Auch die Illustrationen für die offizielle Gedenkpublikation der Krönung wurden von Isabey gezeichnet.

1811 brachte Isabey der französischen Kaiserin, Marie-Louise von Österreich (1791 – 1847), die Kunst der Aquarellmalerei bei. Diese wiederum beauftragte ihn 1812, in Wien die Porträts der kaiserlichen Familie zu malen. Nach dem Sturz Napoleons musste Isabey jedoch erneut sehen, wo er blieb und diente sich dem wiedereingesetzten König Ludwig XVIII. (1755 – 1824) an.

Auf Wunsch von Außenminister Talleyrand begleitete er 1814 die französische Delegation nach Wien um die Delegierten des Kongresses zu porträtieren, worin der Ursprung des „offiziellen Bildes“ des Kongresses, wie es die Nachwelt kennt, liegt. Dabei lässt Isabey in Metternichs Arbeitszimmer in der „Geheimen Hof- und Staatskanzlei“ (heute Bundeskanzleramt am Ballhausplatz) die 23 Vertreter der fünf Großmächte versammeln, die so nie in ihrer Gesamtheit zusammentrafen.

Während der sogenannten „Herrschaft der Hundert Tage“ Napoleon Bonapartes (1. März 1815 bis zur Schlacht bei Waterloo am 22. Juni 1815) dürfte sich Isabey erneut als treuer Bonapartist erwiesen haben, weswegen er nach der zweiten Restauration Ludwigs XVIII. für kurze Zeit ins Exil nach England musste. Dort dürfte er dann das einzige Original des „berühmten Bildes“ in Form einer Sepiazeichnung angefertigt haben, was erklären mag, dass sich diese Arbeit auf Papier heute in der privaten Sammlung des britischen Königshauses befindet. Auf Leinwand wurde das Bild von ihm jedenfalls nie gemalt, über die genannte Sepiazeichnung hinaus existieren nur noch einige Vorzeichnungen, die im Musée du Louvre aufbewahrt werden.

König Ludwig XVIII. dürfte dem Künstler ob seines vergangenen Opportunismus nicht allzu lange gram gewesen sein, so erteilte er Isabey das Recht, seine Zeichnung vom Wiener Kongress in Form der damals gebräuchlichen Druckverfahren wie der Radierung oder Lithographie zu veröffentlichen. Die Vervielfältigung übernahmen dann andere, das bekannteste Beispiel ist wohl die Radierung von Jean Godefroy (1771 – 1839), die 1819 in hoher Auflage veröffentlicht wurde. Das Bild, obwohl nie auf Leinwand gemalt und dennoch immer wieder als „berühmtes Gemälde“ bezeichnet, erlangte so eine starke Verbreitung und inspirierte andere Künstler, es in verschiedenen Techniken zu kopieren, wie in diesem Fall in Form eines Aquarells. Der anonyme Künstler signierte nicht selbst, versah es jedoch in Hommage an den Künstler mit der Bezeichnung „n[ach] Isabey“. Es ist jedoch keine ganz genaue Kopie nach dem Original: Die dritte stehende Person von links, António de Saldanha da Gama (1778 – 1839), Graf von Porto Santo, der bevollmächtigte Minister der portugiesischen Delegation beim Wiener Kongress, wurde durch den Kopisten aus nicht bekannten Gründen ausgespart.

Jean Godefroy: Die Delegierten des Wiener Kongresses, nach einer Sepiazeichnung von Jean Baptiste Isabey (Detail). Radierung, 1819 (Wikimedia Commons)

Legende:

1 Arthur Wellesley, 1st Duke of Wellington (1769 – 1852), 2 Joaquim Lobo da Silveira (1772 – 1846), 3 António de Saldanha da Gama, Graf von Porto Santo (vom Kopisten nicht dargestellt), 4 Carl Axel Löwenhielm (1772 – 1861), 5 Paul-François de Noailles (1739 – 1824), 6 Klemens Wenzel Lothar von Metternich (1773 – 1859), 7 Frédéric-Séraphin de La Tour du Pin Gouvernet (1759 – 1837), 8 Karl Robert von Nesselrode (1780 – 1862), 9 Pedro de Sousa Holstein (1781 – 1850), 10 Robert Stewart, 2nd Marquess of Londonderry (1769 – 1822), 11 Emmerich Joseph von Dalberg (1773 – 1833), 12 Johann von Wessenberg (1773 – 1858), 13 Andrei Kirillowitsch Rasumowski (1752 – 1836), 14 Charles Vane, 3rd Marquess of Londonderry (1778 – 1854), 15 Pedro Gómez Labrador (1772 – 1850), 16 Richard Trench, 2nd Earl of Clancarty (1767 – 1837), 17 Nikolaus von Wacken (1736 – 1834), 18 Friedrich von Gentz (1764 – 1832), 19 Wilhelm von Humboldt (1767 – 1835), 20 William Cathcart, 1st Earl Cathcart (1755 – 1843), 21 Karl August von Hardenberg (1750 – 1822), 22 Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord (1754 – 1838), 23 Gustav Ernst von Stackelberg (1766 – 1850).

Walter Albrecht

HR Dr. Walter Albrecht
Kunsthistoriker und Historiker sowie Sammlungsleiter Kunst im Heeresgeschichtlichen Museum/Militärhistorischen Institut. Gemeinsam mit meinen sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bin ich für die Verwaltung aller Objekte mit kunsthistorischem Bezug wie Gemälde, Druckgrafiken, Aquarelle und Handzeichnungen, Skulpturen und Plastiken sowie Miniaturen zuständig. Dies umfasst u. a. Ausstellungswesen, Leihverkehr, Akquisition, Konservierung, Restaurierung und Depotwesen. Meine Forschungsinteressen liegen in der Kunst- und Militärgeschichte der Frühen Neuzeit, besonders des Dreißigjährigen Krieges; sowie der Kunst des Ersten Weltkrieges mit dem Schwerpunkt Kriegsmaler im k.u.k. Kriegspressequartier.

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