HGM Wissensblog

Objekt des Monats November 2022

Gedenktafel „Österreichs erster Kriegsblinder“

Schenkung

Gedenktafel für Friedrich Stoßfellner (1888 – 1936) vom Stammersdorfer Zentralfriedhof, angebracht am Gemeinschaftsgrab „Pöhacker|Stoßfellner“.

Inschrift: „Hier ruht | Österreichs | erster Kriegsblinder | Weltkrieg 1914“.

Granit, 22 x 46,5 cm

Auf den Friedhöfen der Stadt Wien werden immer wieder Gräber aufgelassen, wenn das s. g. „Grabnutzungsrecht“ endet. Wird selbiges seitens der Angehörigen nicht mehr verlängert, kennzeichnet die Friedhofsverwaltung die Grabstelle mit einer roten Tafel und leitet ein Abbruchverfahren ein. Ein solches dauert in der Regel mehrere Jahre, wenn währenddessen noch immer niemand Interesse am Grabstein oder eventuell vorhandener Gedenktafeln und Plastiken zeigt, werden diese abgebaut und entsorgt. Aufmerksame, meist militärhistorisch interessierte Bürger, welche bei Friedhofsbesuchen Grabsteine oder Gedenktafeln mit militärhistorischem Bezug ausmachen, die Teil eines Abbruchverfahrens nach einem aufgelassenem Grab sind, erstatten Meldung an das Heeresgeschichtliche Museum. Seitens des verantwortlichen Referenten wird dann erhoben, ob das Objekt mit dem Sammlungskonzept des HGM/MHI übereinstimmt. Ist dies der Fall, wird mit den Wiener Friedhöfen Kontakt aufgenommen, um die Übernahme administrativ abzuwickeln und um letztendlich das Objekt abzuholen und in den Sammlungsbestand des HGM/MHI zu übernehmen.

„Hier ruht Österreichs erster Kriegsblinder Weltkrieg 1914“, Gedenktafel vom Stammersdorfer Zentralfriedhof, durch HGM/MHI 2021 übernommen (HGM)

So wies ein aufmerksamer Beobachter im März 2021 darauf hin, dass sich am Stammersdorfer Zentralfriedhof am Grab der Familie Pöhacker/Stossfellner eine Gedenktafel befände, die auf den ersten österreichischen Kriegsblinden des Ersten Weltkrieg hinweist und dass das Grab kurz vor der Auflösung stünde. Dies wurde durch die Friedhofsverwaltung bestätigt, die Übernahme gestaltete sich jedoch etwas diffizil, denn die Gedenktafel war in einem großen, massiven Steinobelisken integriert, dessen Übernahme in einem Stück aufgrund der Größe und des Gewichts aus logistischen Gründen unmöglich war. Ein großer Dank sei daher an dieser Stelle den Friedhöfen Wien ausgesprochen, die letztendlich für eine zerstörungsfreie Entnahme der Gedenktafel aus dem Obelisken Sorge trugen. Wer aber war nun Österreichs erster Kriegsblinder?

Eine Recherche auf der Homepage der Friedhöfe Wien ergab, dass sich das Grab am Stammersdorfer Zentralfriedhof, Gruppe 3, Reihe 1, Nummer 2 befindet. Das Grabnutzungsrecht war am 31. Oktober abgelaufen. In diesem Grab wurden im Lauf der Zeit insgesamt 6 Personen bestattet:

Name                                             Geburtsdatum            Lebensalter            Sterbejahr

Pöhacker Elisabeth                         k. A.                                 66                        1923

Pöhacker Leopoldine                      08.11.1890                       28                        1918

Pöhacker Ferdinand                       24.04.1856                       56                        1912

Pöhacker Friedrich                        10.07.1894                        11                         1905

Stoßfellner Friedrich                      k. A.                                 k. A.

Stoßfellner Anna                           k. A.                                  k. A.

Nachdem also von den drei männlichen Personen nur einer das Jahr 1914 erlebt haben kann, muss es sich bei dem dort bestatteten Kriegsblinden um Friedrich Stoßfellner handeln. Eine weitere Recherche ergab, dass Friedrich oder auch Fritz Stoßfellner Obmann des 1932 gegründeten „Bund der [österreichischen] Kriegsblinden“ war.1 Seitens der Wiener Friedhöfe wurden bei der Übernahme der Tafel dankenswerterweise noch weitere Daten übergeben. Demnach wurde Fritz Stoßfellner 1888 geboren und zog 1914 als 26jähriger in den Krieg, war 1914 kriegsbedingt erblindet und wurde am 11. März 1936 in dem Grab beigesetzt. Wie und wo Stoßfellner verwundet wurde, wäre Gegenstand von vertiefenden Recherchen im Österreichischen Staatsarchiv/Kriegsarchiv.

 

1 Verena Pawlowsky, Harald Wendelin (Hg.), Die Wunden des Staates. Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914-1938, Wien 2015, S. 280.

Walter Albrecht

HR Dr. Walter Albrecht
Kunsthistoriker und Historiker sowie Sammlungsleiter Kunst im Heeresgeschichtlichen Museum/Militärhistorischen Institut. Gemeinsam mit meinen sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bin ich für die Verwaltung aller Objekte mit kunsthistorischem Bezug wie Gemälde, Druckgrafiken, Aquarelle und Handzeichnungen, Skulpturen und Plastiken sowie Miniaturen zuständig. Dies umfasst u. a. Ausstellungswesen, Leihverkehr, Akquisition, Konservierung, Restaurierung und Depotwesen. Meine Forschungsinteressen liegen in der Kunst- und Militärgeschichte der Frühen Neuzeit, besonders des Dreißigjährigen Krieges; sowie der Kunst des Ersten Weltkrieges mit dem Schwerpunkt Kriegsmaler im k.u.k. Kriegspressequartier.

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