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Die österreichisch-ungarische Außenpolitik gegenüber Italien und Rumänien 1914/1915

Obwohl sich hinsichtlich der außenpolitischen Strategie der Habsburgermonarchie in Bezug auf Italien und Rumänien unterschiedliche Ansätze und Inhalte ergaben, so wiesen dennoch beide Länder Ähnlichkeiten hinsichtlich ihrer eigenen Interessen auf und – dies scheint überaus wichtig – konnten in nachträglicher Betrachtung durch den Zeitpunkt ihres jeweiligen Kriegseintritts nicht wie erhofft eine Kriegsentscheidung herbeiführen. Gleichfalls ist beiden Ländern gemein, dass sich die beiden Mittelmächte, Österreich-Ungarn und Deutschland, im Hinblick auf ihre eigene jeweilige außenpolitische Perspektive gegenüber diesen beiden Ländern nicht zu einem einheitlichen Vorgehen entschließen konnten. Wenngleich die außenpolitische Zielsetzung – wohlwollende Neutralität oder gar Kriegseintritt auf der eigenen Seite – in Berlin und Wien mehr oder weniger als unbestritten galt, so divergierten die entsprechenden Strategien und gesetzten Maßnahmen und Vorschläge dann doch maßgeblich; im Hinblick auf Rumänien war sogar innerhalb der Donaumonarchie – schließlich galt es, nicht nur einen gemeinsamen Standpunkt des Reiches zu finden, sondern auch noch die Interessen der beiden Reichshälften zu berücksichtigen – eine akkordierte außenpolitische Strategie nur schwer zu entwickeln.

Über die jeweiligen Beziehungen Österreich-Ungarns zu Italien und Rumänien vor Kriegsausbruch 1914 ist bereits intensiv diskutiert und publiziert worden, so dass hier lediglich der allgemeine Rahmen – beide Staaten waren entweder wie im Falle Italiens Mitglied des Dreibundes oder wie in Bezug auf Rumänien mit diesem assoziiert, skizziert werden sollte. Für beide Staaten gilt, dass sich die Beziehungen in den Jahren vor dem Krieg nach und nach abkühlten, wobei für Italien der Alleingang Österreich-Ungarns in Bezug auf die Annexion Bosnien-Herzegowinas und eine als Affront gewertete nicht zugestandene „Kompensation“ am Balkan ein deutliches Abrücken von den gemeinsamen Interessen andeutete. Das Stillhalten Wiens und auch Berlins bei Beginn des Italienisch-Türkischen Krieges von 1911 wurde nur als begrenztes Zugeständnis interpretiert. Weitere territoriale Interessen Italiens mussten dann auch österreichisches Staatsgebiet betreffen, wobei die nach außen hin formulierte und auch in der öffentlichen Meinung präsente Abschließung bzw. Vollendung des nationalen „Risorgimento“ durch Ansprüche auf Triest und Teile der istrianisch-dalmatinischen Küste – also slawische Siedlungsgebiete – in ihrer moralischen Begründung mehr als konterkariert wurden.

Bekanntlich erklärten sich sowohl Italien als auch Rumänien in den Tagen der Julikrise bzw. der Kriegserklärung(en) Österreich-Ungarns bzw. Deutschlands neutral. Wenngleich gerade im Hinblick auf Italien nur vage mit dem Eintritt des Bündnisfalles, also des „casus foederis“ gerechnet werden konnte – die so genannte Mancini-Deklaration des Dreibundes war durch den Kriegseintritt Großbritanniens schlagend geworden – so war in der allgemeinen Euphorie in den Städten der Donaumonarchie und Deutschlands der Dreibund durch die Bevölkerung dennoch gefeiert worden. Nun, nach der Ernüchterung der Neutralitätserklärung Italiens Anfang August 1914 machte sich eine negative Stimmung breit, die durch die deutsche und österreichisch-ungarische Außenpolitik sowohl im internen Geschäftsverkehr als auch subtil nach Außen gefördert wurde.1 Dass die Neutralitätserklärung, innerhalb Italiens nicht unumstritten, zweifellos bereits eine selbst gewählte Einschränkung der außenpolitischen Möglichkeiten für die nächsten Zukunft mit sich brachte, ist den innenpolitischen Verhältnissen des Königreiches geschuldet und sollte sowohl in moralischer als auch politischer Hinsicht die wichtigsten Argumente für das „intervento“ des Mai 1915 liefern.

Portrait König Viktor Emanuel III. von Italien (1869-1947), unsigniert ©HGM

Denn wenngleich sich König Victor Emanuel III. (1869-1947) beeilte, den beiden Kaisern in persönlichen Telegrammen das Weiterbestehen der freundschaftlichen Beziehungen und wohlwollende Neutralität zu versichern,2 musste die italienische Politik davon ausgehen, dass man in Wien und Berlin eine mögliche Niederlage des Bündnisses unter anderem mit der Neutralitätserklärung begründen würde. Andererseits war wohl davon auszugehen, dass im Falle einer erfolgreichen Kriegführung der Nichtbeitrag Italiens nicht vergessen worden wäre. Dass aber gerade die österreichisch-ungarische und deutsche Diplomatie an einer derartigen Reaktion Italiens nicht unerheblich selbst Schuld trugen, indem man Rom über die beabsichtigte Vorgehensweise in der Julikrise 1914 nicht informierte und das Ultimatum an Serbien lediglich kurz vor der tatsächlichen Übergabe zugänglich machte, kam der gewählten außenpolitischen Strategie Italiens natürlich zupass.

Ähnliches gilt wohl auch für Rumänien, welches sich durch die Nichtbeiziehungen in den letzten Julitagen gleichfalls überrumpelt fühlte und – wie der österreichisch-ungarische Botschafter in Bukarest und spätere Außenminister Ottokar Graf Czernin von und zu Chudenitz (1872-1932) aus Bukarest am 4. August depeschierte – den „casus foederis“ im Kriegsfalle gleichfalls als nicht gegeben annahm.3 Trotz entsprechender Befürwortung durch König Carol I. (1839-1914), einem Hohenzoller, hatte der Kronrat sich gegen eine Aktivierung (Defensivbündnis mit Österreich-Ungarn vom 30. Oktober 1883) der militärischen Abmachungen entschieden und lediglich eine Verstärkung der Grenzsicherungen angeordnet.4

Für Österreich-Ungarn war demnach im August 1914 hinsichtlich der außenpolitischen Gesamtsituation ein Dilemma eingetreten, welches sich auch ganz massiv auf die militärische Situation auswirkte. Zum einen war mit dem nicht erfolgten Kriegseintritt Rumäniens im Osten eine ungünstigere Ausgangssituation eingetreten. Rumänische Truppen waren in der Kalkulation des österreichischen Generalstabs zur Sicherung der Südflanke im Krieg gegen Russland einberechnet worden und mussten nun kompensiert werden. Andererseits fehlten aufgrund der Neutralität Italiens die im militärischen Zusatz des Dreibundvertrags gerade ausverhandelten drei Korps und zwei Kavalleriedivisionen, die am südlichen Flügel der deutschen Westfront zum Einsatz kommen sollten sowie jene an der französisch-italienischen Grenze aufmarschierenden Kräfte. Wenngleich die tatsächliche Kampfkraft der italienischen und rumänischen Armee ambivalent beurteilt wurde, hätten sie mit Sicherheit wohl gegnerische Kräfte gebunden. Ähnliches gilt auch für die in einer Marinekonvention vorgesehene Zusammenführung sämtlicher Dreibundflotten des Mittelmeeres, welche den vorhandenen französischen und englischen Mittelmeergeschwadern durchaus ein entsprechendes Gegengewicht hätten entgegenstellen können. Vielleicht waren es aber gerade die durch den diplomatischen Dienst und jene in der Öffentlichkeit subtil vermittelte Enttäuschung über die nun nicht nutzbaren militärischen Potentiale, die in beiden Staaten zu einer gewissen Überschätzung ihrer eigenen Bedeutung im Falle eines Kriegseintritts führte.

Dennoch wurden beide Staaten zu einem bzw. dem Objekt der Interessenspolitik des k.u.k. Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten; diplomatische Avancen wurden verständlicherweise auch durch die außenpolitischen Vertretungen der Ententemächte betrieben. Die Zielsetzung war für beide Seiten klar: die Neutralen sollten auf die eigene Seite gezogen und wenn schon nicht unmittelbar zum Kriegseintritt, so zumindest zu wohlwollender Neutralität überredet werden.

Verständlicherweise standen aber ab der Julikrise 1914 die Balkanstaaten und nicht Italien im Mittelpunkt österreichisch-ungarischer Bemühungen. Auch hier ergab sich für den Wiener Ballhausplatz eine schwierige Situation. Die militärische Bedeutung Rumäniens gegen Russland ist bereits erwähnt worden, andererseits galt es, die bestehende Gegnerschaft Bulgariens und Serbiens für den gerade anlaufenden Krieg zu nutzen. Somit stellten sowohl Rumänien als auch Bulgarien einen bedeutenden Mehrwert für den Krieg dar; beide Staaten standen jedoch in einem schwierigen, geradezu feindseligen Verhältnis zu einander.5 Einen Ausgleich zwischen den beiden potentiellen Bündnispartnern herbeizuführen, wurde zu einer Sisyphusaufgabe der k.u.k. Außenpolitik, schien aber aufgrund der Vorkriegsereignisse nur schwer zu erreichen. Bukarest verübelte Wien, in den ersten Balkankrieg nicht eingegriffen und die territorialen Gewinne Rumäniens nach dem 2. Balkankrieg gering gehalten zu haben, während man in Sofia die Nichtintervention zugunsten Bulgariens im 2. Balkankrieg nicht vergessen wollte. Gleichfalls tendierte Berlin nicht zuletzt aufgrund dynastischer Gründe zugunsten Rumäniens. Aber auch innerhalb der österreichisch-ungarischen Innenpolitik lagen die Interessen nicht klar auf der Hand.

Das an Rumänien angrenzende und zur ungarischen Reichshälfte gehörende Siebenbürgen, mit Masse von Rumänen bewohnt, lag durchaus auf der „Agenda“ eines nach Arrondierung trachtenden rumänischen Nationalstaates, galt der ungarischen Regierung und vor allem dem Ministerpräsidenten István Tisza Graf von Borosjenő und Szeged (1861-1918) aber als untrennbarer Bestandteil der ungarischen Krone. Zusätzlich sollte sich die in der Öffentlichkeit aufgebauschte schlechte Behandlung der Rumänen in Siebenbürgen als diplomatisch-politischer Hemmschuh eines Ausgleichs erweisen. Alles in allem schien es schwierig, einen der beiden Staaten oder sogar beide auf die eigene Seite zu ziehen.6 Dabei war natürlich die bereits erfolgte Annäherung Rumäniens an Russland nicht verborgen geblieben.

GM Ottokar Graf Czernin v. u. zu Chudenitz (1872-1932) ©HGM

Der im Herbst 1913 neu ernannte Botschafter in Bukarest, der bereits erwähnte Ottokar Graf Czernin, war dementsprechend vor eine schwierige Aufgabe gestellt und empfahl, das Verhältnis zu Rumänien endgültig zu klären und nötigenfalls endgültig auf Bulgarien zu setzen.7

Die Bedeutung der außenpolitischen Offensive Richtung Balkan hatte aber auch bereits militärische Auswirkungen. Bekanntlich hatten sich die Planungen des österreichisch-ungarischen Generalstabs vor 1914 sehr intensiv mit den unterschiedlichsten Kriegsszenarien beschäftigt. Die einzelnen Kriegsfälle waren durchgeplant worden und auch Kombinationen unterschiedlicher, zeitlich gestaffelt oder parallel ablaufender Szenarien hatte man – zumindest im Groben – berücksichtigt. Der nun in den Augusttagen 1914 schlagend werdende Krieg wurde unter dem Kriegsfall „R“ subsumiert und sah einen Zweifrontenkrieg gegen Russland und am Balkan vor. Nachdem die militärischen Mittel nicht ausreichten, auf beiden Kriegsschauplätzen offensiv zu werden, sollte gemäß Vorkriegsplanungen die Masse gegen Russland offensiv eingesetzt werden, die Balkanfront lediglich defensiv unter Behauptung eigener Territorien geführt werden.8 Die Ereignisse in der Julikrise ließen aber zuvor noch die vage Option bestehen, den Krieg gegen Serbien und Montenegro isoliert als 3. Balkankrieg führen zu können, sodass mit der am 25. Juli proklamierten Teilmobilmachung entgegen den Planung zum Fall „R“ stärkere Kräfte am Balkan zum Aufmarsch gelangten.

Minister des Äusseren Leopold Graf Berchtold (1863-1942) ©HGM

Die wenige Tage später deutlich werdende Absicht Russlands, militärisch einzugreifen, hätte ein rasches Umschwenken der überzähligen Verbände notwendig gemacht, was im Hinblick auf eine übertrieben dargestellte schwierige Eisenbahnlage9 und wohl auch aus Prestigegründen – die an den Bahnhöfen soeben verabschiedeten Truppen hätten auf ihrem Weg in den Osten dieselben Stationen nochmals durchfahren und öffentliche Irritationen ausgelöst – nur teilweise realisiert wurde. Dabei ist jedoch auch die außenpolitische Dimension nicht zu unterschätzen. Sowohl Außenminister Leopold Graf Berchtold (1863-1942) und vermutlich auch der Kaiser selbst waren durchaus interessiert, stärkere Truppenkontingente am Balkan zu belassen und offensiv zu werden.

In militärisch-hierarchischer Hinsicht wurde daraus sogar eine Aufwertung des Kriegsschauplatzes, indem das „Kommando der k.u.k. Balkanstreitkräfte“ dem eigentlich übergeordneten Armeeoberkommando gleichgestellt wurde. Die Diplomatie vermeinte sich von einem raschen Sieg gegen Serbien einen „förderlichen“ Einfluss auf Rumänien und Bulgarien.10 Und selbst nach dem katastrophalen Scheitern der Balkanoffensiven im Sommer und Herbst 1914 erhoffte sich das k.u.k. Ministerium des Äußeren durch die Belassung starker Kräfte vor Ort eine bedeutende Wirkung auf die – noch – neutralen Balkanstaaten. Aber hier unterlag man am Wiener Ballhausplatz und wohl auch in der Hofburg einer entscheidenden Fehleinschätzung. Natürlich beobachtete man die kriegerischen Ereignisse in den Hauptstädten des neutralen Auslandes mit ganz besonderer Aufmerksamkeit, wusste aber ganz genau zwischen Hauptkriegsschauplätzen und Nebenfronten zu unterscheiden; und erstere lagen im Westen und im Osten. Die Feldzüge gegen Serbien zählten dagegen mit Sicherheit zu den letzteren.

Dementsprechend wurde die Schlacht bei Rawa Ruska im September 1914 sicherlich zum Fanal. Lemberg, die Hauptstadt Galiziens, hatte am 2. September geräumt werden müssen und sollte in einer großangelegten Offensive – eben der Schlacht bei Rawa-Ruska – wieder eingenommen werden. Die vollkommen erschöpften k.u.k. Armeen hatten erneut zum Angriff anzutreten und – dem Gegner zahlenmäßig unterlegen und kaum von Artillerie unterstützt – scheiterten.

Platz in Rawa Ruska (Galizien) ©HGM

Was folgte war ein überstürzter Rückzug an den San, dem trotz erneuter Offensiven weitere Rückwärtsbewegungen folgen sollten.11 Als sich die Ereignisse im Nordosten nun zunehmend zum Schlechten wandten und die Russen sich nach und nach den Karpaten näherten, wurde die Situation für die Mittelmächte mehr als gefährlich. Es schien, als wäre nun für Rumänien der günstigste Zeitpunkt gekommen, in den Krieg einzutreten.

Honvedbatterie in den Waldkarpaten ©HGM

Über die Vorgangsweise, wie nun Bukarest aus dem Krieg herauszuhalten wäre, entwickelten sich zwischen Österreich-Ungarn und Deutschland unterschiedliche Ansatzpunkte. Berlin vermeinte, den ohnehin den Mittelmächten zuneigenden Hohenzoller-König Carol I. mit territorialen Zugeständnissen gegenüber seinen innenpolitischen und der Entente zuneigenden „Falken“ stärken zu müssen, auf Kosten der Habsburgermonarchie versteht sich. Siebenbürgen sollte abgetreten werden. Nicht nur, dass dadurch die territoriale Integrität Österreich-Ungarns desavouiert worden wäre, mehr noch: einer Abtrennung Siebenbürgens konnte von Seiten der ungarischen Regierung niemals zugestimmt werden. Der ungarische Ministerpräsident schlug dagegen – und hier zeigt sich erneut der schwindende Rückhalt der k.u.k.  Gesamtstaatsidee – die zur österreichischen Reichshälfte zählende Bukowina vor, die gleichfalls zur Hälfte rumänisch besiedelt war und als ökonomisch unbedeutend galt.12 Seitens des Wiener Auswärtigen Amtes wurde jedoch nicht die gesamte Bukowina, sondern lediglich ein kleiner, wenngleich aber prestigeträchtiger Landstrich angeboten, nämlich die Gegend um Suczawa mit dem Kloster Putna. Dieses Angebot sollte aber ausschließlich für einen Kriegseintritt und für die Zeit nach dem Krieg gewährt werden, nicht als sofort zu übergebende Stillhalteprämie für eine bloße Neutralität Bukarests.

Für Österreich-Ungarn stand – in welcher Hinsicht und mit welchen Mitteln auch immer, dies zu erreichen war – bei allen Überlegungen der unmittelbare Zeitgewinn im Vordergrund. Wie auch immer die Verhandlungen laufen würden, es galt bis Oktober/November 1914 die Rumänen aus dem Krieg herauszuhalten, denn dann käme der Winter und dieser würde einen etwaigen Angriff Rumäniens bis ins Frühjahr 1915 hintanhalten. Begleitet wurden die österreichisch-ungarischen Verhandlungen von massiven „Geldinterventionen“ seitens der deutschen und österreichisch-ungarischen Diplomaten in Bukarest, um – wenn schon keinen Gesinnungswechsel, so doch die erhofften Verzögerungen – zu bewerkstelligen. Rund 40 Millionen Reichsmark sollten auf diesem Weg, getarnt als Wettverluste, geflossen sein.13 Inwiefern nun diese Zahlungen tatsächliche Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung hatten oder nicht, bleibt umstritten. Gemeinsam mit der bereits beschriebenen Haltung König Carols I. dürften die schwierigen Tage des September und Anfang Oktober 1914 für die Mittelmächte aber dadurch überwunden worden sein. Selbst als der russische Außenminister Sergei Dmitrijewitsch Sasonow (1860-1927) mit dem rumänischen Ministerpräsidenten Ion I. C. Brătianu (1864-1927) Anfang Oktober 1914 einen Vertrag schloss, der Rumänien für seine wohlwollende Neutralität Siebenbürgen zusagte, trat dadurch eine erneute Entspannung ein, da man nun ein mögliches Kriegsziel durch eine der beiden Parteien bereits zugesagt bekommen hatte, ohne einen Schuss abzugeben.14 Damit schien sich die strategische Lage am russischen Kriegsschauplatz trotz der schwierigen militärischen Verhältnisse vorerst ein wenig zu entspannen, machte aber auch deutlich, dass die Situation im Frühjahr 1915 einer neuerlichen Beurteilung zu unterziehen wäre.

Im Spätherbst 1914 wurde auch deutlich, dass wohl auch Italien hinsichtlich eines möglichen Kriegseintritts wohl noch bis ins Frühjahr 1915 zuwarten würde. Dabei ist hervorzuheben, dass sich die italienische Innenpolitik keinesfalls homogen an die Frage Krieg oder Neutralität annäherte. Hinsichtlich der maßgeblichen Protagonisten, König Victor Emanuel III., Ministerpräsident Antonio Salandra (1853-1931) und Außenminister Baron Sidney Costantino Sonnino (1847-1922) war die grundlegende Entscheidung für den Kriegseintritt schon sehr früh gefallen und durchaus bereits durch die Neutralitätserklärung vom 2. August 1914 vorherbestimmt. Selbst bei einem Sieg der Mittelmächte und entsprechender Beihilfe Italiens wären – wie bereits erwähnt – wohl weiterhin Ressentiments gegenüber Rom bestehen geblieben, die kaum einer Abtretung österreichischen Territoriums, vor allem des Trentino, förderlich gewesen wäre. Dadurch fiel dem Zeitpunkt des Kriegseintritts, angepasst an die jeweilige militärische Lage, eine besondere Bedeutung zu, musste doch sichergestellt sein, dass Österreich-Ungarn den Krieg auf jeden Fall verlieren würde. Bis dahin waren aber auch noch interne „Hausaufgaben“ zu erledigen: die öffentliche Meinung zugunsten eines Kriegseintritts zu beeinflussen und die italienische Armee erheblich aufzurüsten. Strategisches Ziel blieb der Aufstieg Italiens zur europäischen Großmacht, wobei der Irredentismus gegenüber den „unerlösten“ nationalen Brüdern im Habsburgerreich zwar genützt, aber nicht vorrangig ausschlaggeben war.15

Auch im Falle Italiens waren sich die Verbündeten hinsichtlich ihrer diplomatischen Vorgangsweise nicht einig und erneut war man in Berlin hinsichtlich des „Preises“ für einen allfälligen Kriegseintritt Italiens durchaus großzügig, natürlich erneut auf Kosten Österreichs. Das Trentino sollte, so die Vorstellung Berlins, den Italienern überlassen werden, doch hatte sich die Situation bereits längst verändert. Dafür war kein Kriegseintritt mehr zu erreichen, sondern lediglich die Neutralität. Der Widerstand in der österreichisch-ungarischen Innenpolitik fiel mehr als deutlich aus. Neben dem Kaiser machte vor allem der eigentlich gar nicht betroffene ungarische Ministerpräsident Front gegen eine mögliche Teilung Tirols, befürchtete er doch einen möglichen Präzedenzfall, der auch auf Siebenbürgen angewandt werden könnte. Zusätzlich veränderte die militärischen Ereignisse an den Fronten die politische Ausgangsposition beträchtlich. Die am 2. Dezember 1914 gelungene Eroberung Belgrads – ein wichtiger Prestigeerfolg – erwies sich als nicht nachhaltig und verkehrte sich ins Gegenteil. Nach der Räumung Belgrads mussten die Truppen wieder in ihre Ausgangsstellungen vom August 1914 zurückgenommen werden. Auch im Nordosten gefährdeten russischen Truppen in den Karpaten bereits ungarisches Staatsgebiet. Wiederum war es also die militärische Krise, welche der Diplomatie nun die Aufgabe zuwies, auf jeden Fall das Entstehen einer neuerlichen Front zu verhindern.

Einnahme von Belgrad, Ansichten der Stadt, Portrait Kaiser Franz Joseph und die Fahnen der Verbündeten

Ab dem Jahreswechsel dürfte dann auch innerhalb der österreichisch-ungarischen Innenpolitik die Entscheidung gereift sein, nunmehr doch in ernsthafte Verhandlungen mit Italien einzutreten. Diese sollten vom neuen gemeinsamen Außenminister, Stephan Freiherr von Burian-Rajecz (1852-1922) geführt werden. Über dessen Verhandlungsführung bestehen bis heute unterschiedliche Urteile. Von deutscher Seite wurden vor allem Burians vollkommene Loslösung von der militärischen Lage und sein rechtlicher Standpunkt im Hinblick auf die im Dreibundvertrag geregelte Kompensationsfrage bemängelt. Die Bestimmungen wurden im Kapitel VII des Dreibundvertrages geregelt, jedoch sehr unklar formuliert, so dass sich aus der Auslegung erhebliche Kontroversen ergeben konnten.

Minister des Äusseren Baron Stephan Burian (1852-1922) ©HGM

Für völkerrechtliche Diskussionen in Friedenszeiten ein vortreffliches Gebiet, jedoch kaum angetan, um in Zeiten einer schweren Krise eine Lösung zu finden.16 Andererseits stellt sich bis heute die Frage, ob für die Wiener Diplomatie überhaupt noch jener Verhandlungsspielraum bestand, Italien ohne wirklich schmerzhafte territoriale Verluste aus dem Krieg herauszuhalten. Wie auch immer, ob die tatsächlichen militärischen Gegebenheiten ignorierend und sich zu sehr auf den Ehrenstandpunkt und den Vertragsbruch konzentrierend17 oder um die Ergebnislosigkeit der Verhandlungen ohnehin wissend und auf eine Verbesserung der Lage im Frühjahr 1915 hoffend, so konnte Burian dennoch Zeit gewinnen. Für die deutsche Seite erwiesen sich die als „starrsinnig“ und schleppend laufenden Verhandlungen Österreich-Ungarns im Jänner und Februar 1915 dann als besondere Belastungsprobe. Die Verfahrenheit der Situation erkennend, wurde in Berlin sogar überlegt, den Österreichern den Verlust des Trentino durch deutsche Kompensationen in Oberschlesien sowie das polnische Kohlegebiet von Sosnovice schmackhaft zu machen.18 Außerdem gab man von deutscher Seite durchaus zu verstehen, dass nun erfolgende Abtretungen nach siegreichem Kriegsende klarerweise auch wieder rückgängig gemacht werden konnten. Der Kompensationsvorschlag wurde jedoch nicht mehr unterbreitet, da sich Burian Anfang März 1915 – mit dem Frühlingsbeginn wurde ein italienischer Kriegseintritt wahrscheinlicher – nunmehr endgültig zu konkreten Verhandlungen durchringen musste. Zu diesem Zeitpunkt verhandelten die Italiener aber bereits auch mit der Entente, sodass die Entscheidung des Wiener Ministerrates vom 8. März über die nun doch akzeptierte Abtretung Trentinos bei gleichzeitiger freier Hand auf dem Balkan als zu gering sofort zurückgewiesen wurde. Zudem kam am es am 22. März zur Kapitulation Österreich-Ungarns bedeutendster Festung Przemysl, zu deren Entsatz die Österreicher mehrere äußerst verlustreiche Offensiven gestartet hatten, um den die diplomatischen Bemühungen sicherlich beeinträchtigenden Fall zu verhindern. Rund 120.000 Mann gingen in Gefangenschaft und fanden in der Diplomatie sofort ihren Nachklang. Italien erhöhte die Forderungen beträchtlich. Nunmehr wurde neben dem Trentino bereits auch Bozen, das Isonzotal, die Insel Curzola und die Neutralisierung Triests gefordert und dies unmittelbar, also nicht erst nach Kriegsende.19 Trotz deutschen Drängens war man zu diesen Zugeständnissen in Wien schließlich nicht bereit. Am 26. April wurde bekanntlich der Londoner Vertrag unterzeichnet und am 4. Mai der Dreibund durch Italien gekündigt. Die durch die Entente bestätigten Forderungen waren noch weitreichender gewesen als jene gegenüber Wien formulierten. Dennoch hatte sich für die österreichische Seite trotz der außenpolitischen Niederlage ein Erfolg auf anderer Ebene eingestellt. Die deutsche Oberste Heeresleitung entschied sich, am russischen Kriegsschauplatz mit stärkeren Kräften aufzutreten. Die Folge war eine gemeinsame Offensive im Osten, der Durchbruchsschlacht bei Gorlice-Tarnow Anfang Mai 1915. Für eine Beeinflussung der politischen Haltung Italiens kam die Schlacht zwar zu spät, jedoch ermöglichte sie den Mittelmächten, die schwierige Lage im Osten vorerst zu meistern und trotz des Risikos, vorerst nur geringe Kräfte für die Italienfront bereitzustellen, die militärische Wirkung des Kriegseintritts verpuffen zu lassen.20

Darüber hinaus zeigte sich, dass der Kampfwert der italienischen Armee trotz erheblich verstärkter Rüstungsmaßnahmen während der Neutralitätsphase in relativer Hinsicht gesunken war, da die neuen Erscheinungsformen des Krieges im Schützengraben erst implementiert werden musste, was mit hohen Blutopfern verbunden war. Auch standen die italienischen Streitkräfte vor der schwierigen Situation, ähnlich wie die k.u.k. Armee 1914 in Serbien, im gebirgigen Terrain angreifen zu müssen. Neben diesen rein militärisch-operativen Problemen brachte der Kriegseintritt Italiens für Österreich-Ungarn in psychisch-moralischer Hinsicht durchaus eine Wende. Die Kriegserklärung Italiens wurde von der öffentlichen Meinung als Verrat empfunden. Das kaiserliche Manifest vom 23. Mai 1915 verstärkte diese Empfindung noch. „Der König von Italien hat mir den Krieg erklärt. Ein Treuebruch, dessengleichen die Geschichte nicht kennt, ist von dem Königreiche Italien an seinen beiden Verbündeten begangen worden.“21 Das patriotisch formulierte Manifest, das die Tatsache, dass die Kriegserklärung ausschließlich an Österreich-Ungarn und nicht Deutschland gerichtet war, ignorierte, verfehlte seine Wirkung nicht. Der Krieg gegen Italien galt als populärster Kriegsschauplatz und schien die Völker des Reiches nochmals zu einen. Die Freiwilligenmeldungen an die Italienfront kamen aus allen Kronländern und umfassten mehrere Tausende.

Auch innerhalb der Entente war der Kriegseintritt Italiens nichts unproblematisch gewesen. Die teilweise als übertrieben empfundenen Forderungen Italiens im Vorfeld des Londoner Vertrags mögen von Frankreich und Großbritannien im Hinblick auf im Falle des Sieges dann ohnehin abzugleichende Interessen der Mächte vorerst stillschweigend akzeptiert worden zu sein. Für Russland und Serbien galt das wohl nicht. Gerade Letzteres sah seine eigenen Kriegsziele mehr als beeinträchtigt, so dass die serbische Armee im Mai 1915 – wenn auch geschwächt – den Aufmarsch der italienischen Armee nicht durch einen Angriff in Bosnien unterstützte, sondern sich gemeinsam mit Montenegro in Nordalbanien festsetzte.

Die Frage gestaltete sich nun dahin, wie sich Rumänien und Bulgarien an die neuen Verhältnisse anpassen würden. Rumänien hatte sich mit Italien noch im Winter dahingehend geeinigt, gemeinsam in den Krieg einzutreten.

Verlassener russischer Schützengraben nach der Einnahme von Lemberg ©HGM

Siebenbürgen war als Preis für die Neutralität bereits versprochen, nun sollte die Gegenleistung für einen etwaigen Kriegseintritt bemessen werden. Bukarest verlangte die halbe Bukowina, dann Czernowitz und den halben Banat. Dies waren jedoch Territorien, die auch von den Russen und Serben beansprucht wurden. Die Verhandlungen erwiesen sich überaus zäh und waren vor Beginn der Gorlice-Tarnow-Offensive noch keinesfalls abgeschlossen. Auch für die Rumänen waren die Ereignisse auf dem Schlachtfeld ein Schock.

Am 22. Juni wurde Lemberg zurückerobert, die russischen Kräfte befanden sich in Galizien und in Kongresspolen am Rückzug.22 Rumänien hatte sich jedoch im Gegensatz zu Italien nicht zeitlich festgelegt, in den Krieg einzutreten, und entschied, sehr zum Entsetzen der italienischen Außenpolitik, weiter zuzuwarten.

Vorerst stand jedoch Bulgarien im allgemeinen, vor allem deutschen Interesse. Rumänien und Bulgarien hatten sich bisher mehr oder weniger neutralisiert, wobei sich Zar Ferdinand I. (1861-1948) im Frühjahr 1915 immer noch alle Optionen, also Kriegseintritt auf Seiten der Mittelmächte oder Entente sowie die Beibehaltung der Neutralität, offenhielt. Bulgarien konnte seine Bedeutung nach der Landung der Entente auf der Halbinsel Gallipoli sogar noch weiter erhöhen, da es zu diesem Zeitpunkt für die Mittelmächte mangels direkter Landverbindung nicht möglich war, dem Osmanischen Reich den dringend benötigten Nachschub zu liefern. Bulgarien, das mit beiden Seiten verhandelte, verlangte eine Revision des Bukarester Friedens von 1913, wobei zum Erschwernis für beide Seiten, jeweils auch Gebiete verbündeter Staaten von Sofia beansprucht wurden: Serbisch Mazedonien und Grenzrevisionen gegenüber der Türkei an der Maritza bei Adrianopel.23

Nichtsdestotrotz blieb auch Rumänien weiterhin eine Option der österreichisch-ungarischen Außenpolitik. Im Juni 1915 hatte Botschafter Czernin noch einmal versucht, die Rumänien zu einem Kriegseintritt zu bewegen und neben dem bereits angebotenen Teil der Bukowina noch die Aussicht auf Russisch-Bessarabien ins Spiel gebracht. Dennoch blieb der Angelpunkt Siebenbürgen, welches von ungarischer Seite keinesfalls aufgegeben werden konnte, das ungelöste und wohl auch nicht zu lösende Problem.24 Dennoch drängte vor allem das Deutsche Reich, die Verhandlungen weiter fortzusetzen, um zumindest ein Transitabkommen für Munitionslieferungen in die Türkei zu erreichen. Für Außenminister Burian und wohl auch Czernin waren territoriale Zugeständnisse lediglich für Transitabkommen aber verständlicherweise mehr als inakzeptabel. Es ergaben sich aber durchaus auch andere Möglichkeiten, weniger in politischer als ökonomischer Hinsicht.

Bereits vor dem Krieg war Rumänien ein wichtiger Handelspartner für Österreich-Ungarn gewesen. Während in den Zoll-Rubriken IV (Zucker) und XV (Holz, Kohle, Torf) ein Exportüberschuss Österreich-Ungarns bestand, importierte die Donaumonarchie in den Rubriken VI (Getreide, Malz, Hülsenfrüchte, Mehl, Mehlprodukte, Reis) bedeutende Mengen.25 Aufgrund der Sperrung der Meerengen des Bosporus und der militärischen Frontlage wurden die sonstigen Exportmöglichkeiten Rumäniens im Verlauf 1914/15 stark eingeschränkt, letztlich verblieb lediglich Österreich-Ungarn als Großabnehmer. Die Donaumonarchie selbst befand sich im zweiten Kriegsjahr bereits in einer schwierigen Versorgungslage, da die Ernte 1914 in Galizien durch die Kriegsereignisse teilweise nicht mehr hatte eingebracht werden können. Nun war aber Galizien die „Kornkammer“ der österreichischen Reichshälfte gewesen und eine Kompensation durch Importe dringend angeraten.26 Rumänien hatte dagegen noch beachtliche Ernteüberschüsse von 1914, die dringend verwertet werden mussten, um für die neue Ernste 1915 Platz zu schaffen. Czernins Idee bestand nun darin, nicht nur den Import des dringend benötigten Getreides zu einem niedrigen Preis zu ermöglichen, sondern dies auch für eine politische Intervention in Bukarest zu nutzen. Ein bewusst in die Länge zu ziehendes Vertragsverfahren sollte die rumänische Agrarwirtschaft zur Herbeiführung einer innenpolitischen Krise ermuntern, dann einen Regierungswechsel ermöglichen und den mittelmächtefreundlicheren Alexandru Marghiloman (1854-1925) an die Regierung bringen. Gleichzeitig intendierte Czernin, Marghiloman auch bereits politische und wohl auch territoriale Zugeständnisse zu machen, um nach dem Regierungswechsel auch gleich den Kriegseintritt auf Seiten der Mittelmächte zu gewährleisten. Dieses vage und wohl auch hochriskante Spiel Czernins wurde jedoch durch Außenminister Burian nicht mitgetragen, der ähnlich wie der österreichische Ministerpräsident Karl Graf Stürgkh (1859-1916) erst die dringend notwendigen Getreideimporte anlaufen lassen wollte. Letztlich einigten sich beide Seiten in ökonomischer Hinsicht. Zum einen wurde im Juli 1915 einem geheimen Transitabkommen für Lieferungen in die Türkei zugestimmt, welches zwar keine Munitionstransporte vorsah, jedoch die notwendigen Maschinen, um diese in der Türkei selbständig herzustellen. Zum anderen konnten dann im Dezember 1915 auch die Getreidelieferabkommen unterzeichnet werden, welche die rumänischen Importe in der zuvor genannten Zollrubrik VI von rund 4,8 Mio. Tonnen im Jahre 1913 auf 17,3 Mio. Tonnen im Jahre 1916 steigerten.27 Die Getreideversorgung der österreichischen Reichshälfte war damit vorerst gesichert, eine Hungersnot verhindert.

Inzwischen hatten sich aber die politischen Rahmenbedingungen weiter verändert und brachte Bewegung in die diplomatischen Bemühungen. Bulgarien entschloss sich zur Entsendung einer Militärmission ins Deutsche Hauptquartier nach Pleß, um über ein Bündnis zu verhandeln, während Russland – militärisch weiterhin am Rückzug, sich nun doch entschloss, den Rumänen für den Kriegseintritt die Bukowina und den Banat zu versprechen. In Bukarest konnte die Zusage aber infolge der militärischen Fakten kaum ernst genommen werden. Als im August 1915 auch noch die zweite Landung auf Gallipoli nach wenigen hundert Metern an der Küste stecken blieb, war der politische Handlungsrahmen der Entente kaum mehr vorhanden. Am 6. September schloss Bulgarien sein Militärbündnis mit den Mittelmächten, nicht ohne zuvor den „Preis“ nochmals massiv zu erhöhen. Über Mazedonien hinaus sollten nun auch serbische Gebiete bulgarisch werden. Burian, der sich nicht zuletzt aufgrund der Aussicht, es in Zukunft nicht mehr mit einem mittelgroßen Serbien, dagegen aber einem erheblich stärkeren Groß-Bulgarien zu tun zu haben, dem auch noch Ambitionen in Albanien nachgesagt wurden, zögerlich zeigte, konnte sich dem deutschen Druck jedoch nicht entziehen und stimmte letztlich zu.28 Dadurch wurde die gemeinsame Offensive der drei Verbündeten im Oktober 1915 gegen Serbien möglich, die in einer Besetzung des Staatsgebietes mündete. Eine Vernichtung der serbischen Armee gelang nicht und war seitens der deutschen, welche lediglich eine rasche Landverbindung zum Osmanischen Reich herzustellen wünschten, auch gar nicht intendiert. Gegen Jahresende konnte auch noch das kleine, aufgrund seiner Lage aber strategisch so wichtige Montenegro in einer militärischen Blitzaktion der k.u.k. Armee und Kriegsmarine ausgeschaltet werden und die Entente hatte bereits die Räumung der Halbinsel Gallipoli eingeleitet. Verglichen mit dem Frühjahr 1915 hatte sich die politische und auch militärische Gesamtlage um die Jahreswende 1915/16 erheblich zugunsten der Mittelmächte verbessert.

Epilog und Zusammenfassung:

Am 27. August 1916 erklärte Rumänien dann Österreich-Ungarn dann doch denn Krieg. Die Kriegserklärung kam zumindest für Wien vollkommen überraschend, zumal die kritischen Phasen des Sommer/Herbst 1914 und jene im Jahre 1915 als überwunden galten. Dennoch hatte sich die politische, aber auch militärische Situation für Rumänen Mitte 1916 soweit geändert, dass nun eine endgültige Entscheidung zwingend schien. Russland hatte bereits Siebenbürgen und im Verlauf der Folgen von Gorlice-Tarnow auch noch die Bukowina und den Banat angeboten. Diese territorialen Erweiterungen waren jedoch erst in Besitz zu nehmen, also als „Holschuld“ zu verstehen. Das Scheitern der österreichisch-ungarischen Offensive in Südtirol im Mai 1916, die Brussilow-Offensive im darauffolgenden Juni, der britische Angriff an der Somme im Juli und dann auch noch die im Gange befindliche 6. Isonzoschlacht im August 1916 konnten durchaus als gute Argumente dienen, den Kriegseintritt zu wagen. Vor allem die sich wieder der rumänischen Grenze nähernde Front ließ das Vertrauen auf erhebliche russische Unterstützung durchaus realistisch erscheinen. Eine Beibehaltung der rumänischen Neutralitätspolitik lief dagegen Gefahr, im Falle einer nun doch wahrscheinlicher werdenden Kriegsentscheidung zwischen den Blöcken aufgerieben zu werden; der Kriegseintritt schien nun gerade günstig.

Aber auch für den rumänischen Kriegseintritt ist – ähnlich wie beim Vorgehen Italiens im April/Mai 1915 – der Zeitpunkt nur als scheinbar günstig zu bewerten. Wäre eine militärische Intervention im Juni, vielleicht noch im Juli 1916 durchaus von erheblicher Bedeutung gewesen, so waren die Krisen im Osten, an der Westfront und in Italien im Verlauf des August mehr oder weniger bewältigt. Mehr noch, hatten sich doch die obersten militärischen Gremien Österreich-Ungarns und Deutschlands nach langwierigen Verhandlungen gerade im Hinblick auf die Bereinigung der Brussilow-Krise auf eine gemeinsame „Oberste Kriegsleitung“ geeinigt. Viele der gerade für die Kriegsführung im Osten so enervierenden Akkordierungen und Friktionen zwischen den Bündnispartnern waren nun geregelt; und die verbesserte interne Abstimmung konnte bereits für den Kriegseintritt Rumäniens voll zur Geltung kommen sollte. In einer gemeinsamen Operation, der sich auch die Bulgaren anschlossen, die ihre Beteiligung mit dem Anspruch auf die ganze Dobrudscha rechtfertigten, wurde die rumänische Armee vernichtend geschlagen und Bukarest am 6. Dezember 1916 besetzt. Aus der vermeintlichen Verstärkung der Entente war eine Schwächung geworden, zumal russische Truppen jetzt auch noch den rumänischen Abschnitt zu übernehmen hatten. Neben dem um einige Wochen verpassten Moment, zum tatsächlichen „Zünglein an der Waage“ zu werden, ergibt sich eine weitere Parallelität zu Italien. Konnte man bei Kriegsausbruch die Streitkräfte der beteiligten Staaten noch anhand der quantitativen Übersichten mehr oder weniger vergleichen, so hatten sich sowohl im Mai 1915, mehr noch im August 1916 die militärischen Rahmenbedingungen vollkommen verändert. Der Einfluss des Terrains auf die militärische Kraftentfaltung, die Schwierigkeiten des Angriffes, die Defensivwirkung des Maschinengewehrs und die Besonderheiten des neuartigen Stellungskriegs waren von den Kriegführenden unter hohem Blutzoll bereits „erfahren“ worden. Relativ betrachtet musste der Kampfwert der noch kriegsunerfahrenen italienischen und vor allem rumänischen Armee mit zunehmender Dauer ihrer Neutralität ständig sinken. Vor allem für Rumänien hatte sich das zeitliche „window of opportunity“, indem noch von einer entscheidenden Wirkung auf die Gesamtkriegslage ausgegangen werden konnte, längst erheblich eingeschränkt.

 


 

1 Holger Afflerbach, Der Dreibund. Europäische Großmacht- und Allianzpolitik vor dem Ersten Weltkrieg, Wien 2002, S. 845

2 Gian Enrico Rusconi, Das Hasardspiel des Jahres 1915. Warum sich Italien für den Eintritt in den Ersten Weltkrieg entschied. In: Johannes Hürter, Gian Enrico Rusconi (Hg.). Der Kriegseintritt Italiens im Mai 1915. Schriftenreihe der Vieteljahreshefte für Zeitgeschichte, München 2007, S. 13-52, S. 29

3 Stephan Verosta, Theorie und Realität von Bündnissen. Heinrich Lammasch, Karl Renner und der Zweibund (1897-1914), Wien 1971, S. 518

4 Ottokar Czernin, Im Weltkriege, Wien 1919, S. 19

5 Lothar Höbelt, „Stehen oder Fallen?“ Österreichische Politik im Ersten Weltkrieg, Wien 2015, S. 16

6 Ebda. S. 16

7 Vgl. dazu auch das sogenannte „Matscheko-Memorandum“. In: Österreich-Ungarns Aussenpolitik von der Bosnischen Krise 1908 bis zum Kriegsausbruch 1914. Diplomatische Aktenstücke des Österreichisch-Ungarischen Ministeriums des Äußeren, VIII. Band, Wien 1930, S. 186-195

8 M. Christian Ortner, Die k.u.k. Armee und ihr letzter Krieg, Wien 2013, S. 39-47

9 Vgl. dazu: Gustav Hubka, Der kritische Monat Juli 1914. Als Vermächtnis des Obersten Maximilian Freiherrn von Pitreich, ungedr. Manuskript, Graz 1949, S. 44-53

10 Rudolf Jerabek, Potiorek. General im Schatten von Sarajewo, Wien/Graz 1991, S. 134

11 Vgl. dazu: Österreich-Ungarns letzter Krieg. Hrsg. vom Bundesministerium für Heerwesen, 7 Bde, Wien 130-34, Band I, S. 269-313, 335-340

12 Höbelt, S. 26

13 Ebda. S.26

14 V. N. Vinogradow, Romania in the First World War. The Years of Neutrality. In: International History Review 14, o.O. 1992, S. 455

15 Höbelt, S. 27

16 Hans Jürgen Pantenius, der Angriffsgedanke gegen Italien bei Conrad von Hötzendorf, Wien 1984, S. 529

17 Afflerbach, S. 360 f.

18 Egmont Zechlin, Das „schlesische Angebot“ und die italienische Kriegsgefahr 1915. In: GWU 14 (1963), S. 533-556

19 Höbelt, S. 31

20 Pantenius, S. 565-571

21 Kaiserliches Manifest vom 23. Mai 1915. Beiblatt zur Extraausgabe der Wiener Zeitung Nr. 118 vom 23. Mai 1915

22 Höbelt, S. 48 f.

23 Wolfgang-Uwe Friedrich, Bulgarien und die Mächte 1913-1915, Stuttgart 1915, S. 268 f.

24 Czernin S. 127 f.

25 Helmut Rumpler, Anatol Schmied-Kowarzik, Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg Band XI/2. Weltkriegsstatistik Österreich-Ungarn 1914-1918. Bevölkerungsbewegung, Kriegstote, Kriegswirtschaft, Wien 2014, S. 320

26 Gustav Gratz, Richard Schüller, Der wirtschaftliche Zusammenbruch Österreich-Ungarns, Wien 1930, S. 272 f.

27 Ebda. S. 320

28 Höbelt, S. 53 f.

M. Christian Ortner

HR Mag. Dr. M. Christian Ortner, Bgdr

HR Dr. M. Christian Ortner, Bgdr war von 1995 an am Heeresgeschichtlichen Museum in Wien tätig, vorerst als Referats- und Sammlungsleiter „Militärtechnik“ (zuständig für Marine, Luftfahrt, Waffenwesen, Artillerie, Munitionswesen, Harnische, Festungswesen, Modelle, militärische Optik etc.) sowie in weiterer Folge als Leiter der Museums- und Sammlungsabteilung. Von 2005 bis 2022 hat er als Direktor das HGM/MHI geführt. Seine Forschungsschwerpunkte beinhalten unter anderem "Österreich-Ungarn 1848 bis 1918".

Preisträger des Werner-Hahlweg Preises für Militärgeschichte 2008
Verleihung des Civil Servant of the Year 2012
Goldenes Ehrenabzeichen für Verdienste um die Republik Österreich

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